Mit einem eindringlichen Appell an die Internationale Staatengemeinschaft, die syrische Bevölkerung nicht zu vergessen, hat Kardinal Christoph Schönborn seinen jüngsten Besuch in Syrien bilanziert. Es bräuchte so etwa wie einen "Marschall-Plan", mit dem Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, sagte Schönborn. Er zeigte sich tief bewegt von der Not des Großteils der Bevölkerung. Nach zehn Jahren Krieg liege nun die Wirtschaft darnieder. Das sei zum einen natürlich die Folge des Krieges, zum anderen aber auch die Folge der westlichen Wirtschaftssanktionen. Man wolle damit die syrische Regierung treffen, treffe aber ausschließlich die Bevölkerung, so Schönborn: "Die Armen werden noch ärmer, der Mittelstand wird ruiniert."
Die Armut im Land sei unvorstellbar. Es gebe nur mehr wenige Stunden Strom pro Tag, die Menschen stünden Schlange vor den Bäckereien, um ein wenig Brot zu bekommen. Auch Trinkwasser sei knapp, die Arbeitslosigkeit extrem hoch. Schönborn: "Ich konnte bei meinem Besuch auch mit vielen jungen Leuten sprechen. Alle wollen weg aus dem Land. Und das ist verständlich. Sie haben in Syrien einfach keine Perspektiven."
Kardinal Schönborn war von Samstag bis Montag auf Einladung des syrisch-orthodoxen Patriarchen Aphrem II. und weiterer syrischer Kirchenoberhäupter in Syrien zu Besuch. Auf dem Programm standen Begegnungen mit Kirchenvertretern sowie Gläubigen der verschiedenen Kirchen, aber auch mit Binnenvertriebenen und Menschen in Not. Der kleinen österreichischen Delegation mit Kardinal Schönborn an der Spitze gehörten auch Pro Oriente-Präsident Alfons Kloss und der Vorsitzende der Salzburger Pro Oriente-Sektion, Prof. Dietmar Winkler, an.
In der syrisch-orthodoxen Patriarchatskathedrale in Damaskus stand Schönborn gemeinsam mit Patriarch Afrem II., dem melkitischen Patriarchen Youssef Absi und Nuntius Kardinal Mario Zenari einem ökumenischen Friedensgebet vor. Dabei zeigte sich Schönborn in einer kurzen Ansprache selbstkritisch. Der Westen verschließe die Augen vor der unvorstellbaren Not der Menschen in Syrien. Die Aufgabe der politischen Führer sei es, endlich Frieden zu schaffen. Der Wiener Erzbischof erinnerte zudem daran, dass es in den vergangenen Jahren gelungen war, 2.500 syrische Flüchtlinge über Resettlement-Programme in Österreich aufzunehmen. Doch letztlich müsse es darum gehen, dass niemand dazu gezwungen werde, seine Heimat zu verlassen.
Patriarch Aphrem dankt nicht nur Kardinal Schönborn für seinen Besuch in Syrien, sondern auch Papst Franziskus für seinen ständigen Appelle und Bemühungen für Frieden für Syrien. Den Kardinal bat er, sich für ein Ende der westlichen Sanktionen gegen Syrien einzusetzen. Die Wirtschaftssanktionen würden die einfache Bevölkerung in tiefstes Elend stürzen.
Tief betroffene vom Leid der Bevölkerung zeigte sich Schönborn bei einer Begegnung in Damaskus mit Flüchtlingen und Menschen in Not. Familien, christliche wie muslimische, erzählten ihm von ihrer Flucht vor den Kämpfen, vom Tod der Familienangehörigen oder ihren zerstörten Häusern. Manche konnten inzwischen zurückkehren und ihre Häuser wieder notdürftig einrichten, andere leben weiterhin als Binnenvertriebene in Damaskus. Viele werden von der Kirche unterstützt. Die Geschichten der Binnenflüchtlinge gleichen jenen in den Flüchtlingslagern in Syriens Nachbarstaaten
Auf dem Besuchsprogramm des Kardinals in Damaskus stand u.a. auch eine von der syrisch-orthodoxen Kirche betriebene Dialyse-Station, sowie eine Textilfabrik. Zehn Familien haben in der Fabrik Arbeit und damit ein Ein- und Auskommen. Drei ähnliche Projekte werden von der Kirche ebenfalls betrieben.
Zudem wurde in Maarat Sadnaya bei Damaskus eine Universität gegründet und vor gut drei Jahren eröffnet. Das Angebot für die derzeit rund 400 Studentinnen und Studenten ist breit gestreut und reicht von Elektrotechnik über Informatik bis zu Wirtschaftsfächern und Jus. Im Endausbau soll die Universität Platz und Lehrangebote für 5.000 junge Leute bieten: Christen und Muslime. Das Beste, was sie für sich und ihr Land machen könnten, sei ein engagiertes Studium, ermutigte der Kardinal die Studenten bei einer kurzen Begegnung.
In Homs nahm Schönborn an einem ökumenischen Friedensgebet in der syrisch-orthodoxen Kathedrale teil. Zudem besuchte er das Jesuitenkloster und betete am Grab von P. Frans Van der Lught. Der Jesuit hatte auch in der schlimmsten Zeit des Krieges im Kloster ausgeharrt, da er die Bevölkerung nicht im Stich lassen wollte. Er wurde 2014 von Islamisten im Kloster ermordet. Sein Grab im Klosterhof ist längst zur Pilgerstätte für Christen wie Muslime geworden. Die Jesuiten haben inzwischen wieder zahlreiche Aktivitäten aufgenommen, u.a. sind sie in der Jugendarbeit aktiv. 1.500 Jugendliche zählen ihre Gruppen insgesamt.
Bei einem Lokalaugenschein konnte sich Schönborn zudem ein persönliches Bild von den Kriegsschäden machen. Ganze Stadtteile von Homs liegen nach wie vor in Schutt und Trümmern.
Als Geschenk erhielt der Kardinal in der syrisch-orthodoxen Kirche in Homs einen liturgischen Kelch. - Raubgut, das ein Muslim auf dem Schwarzmarkt entdeckt, gekauft, und an die Kirche zurückgegeben hatte. Der Kardinal nahm das Geschenk zum Anlass, auch in Homs zu Toleranz, Dialog und Versöhnung aufzurufen.
Mit dem Kelch feierte er Sonntagabend in syrisch-orthodoxen St. Ephraim-Kloster in Maarat Sadnaya Gottesdienst. Zu dem Gottesdienst waren u.a. auch der Apostolische Nuntius Kardinal Mario Zenari, der syrisch-orthodoxe Patriarch Aphrem II. und der melkitische Patriarch Absi gekommen.
In Maarat Sadnaya besichtigt Schönborn zudem das griechisch-orthodoxe Marienkloster, das von Christen und Muslimen gleichermaßen aufgesucht wird.
Auf dem Programm Schönborns stand auch die Kleinstadt Malula an den Hängen des Antilibanon-Gebirges. In der zu einem Gutteil christlichen Stadt, in der noch Aramäisch, die Sprache Jesu gesprochen wird, besuchte Schönborn das melkitische Sergios- und Bachuskloser sowie das griechisch-orthodoxe Mar Thekla-Kloster. 2013 eroberten Islamisten Malula und entführten die Nonen des Klosters. Sie kamen später wieder frei und die syrische Armee eroberte Malula zurück.
Quelle: https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/97007.html